Traducteur provocateur: Der Mini-Auftrag

von Helena Stamatovic

Provozieren ist sein Ding, Argumentieren seine Waffe: Willkommen in der unerhörten Welt des Traducteur provocateur. Heute: «Der Mini-Auftrag».

TP: «Hallo Kunde.»

K: «Hey Übersetzer. Was gibt es jetzt schon wieder?»

TP: «Es geht um den Satz, den ich bis heute Nachmittag übersetzen soll. Die Überschrift für den neuen News-Artikel.»

K: «Ah, ja. Was ist damit?»

TP: «Ich brauche da etwas mehr Kontext.»

K: «Was denn für Kontext?»

TP: «Den News-Artikel, zum Beispiel. Das wäre nett.»

K: «Du hast wieder mal Sonderwünsche… Ist doch sonnenklar, was der Satz bedeutet!»

TP: «Natürlich ist der Satz klar, ich kann den aber so nicht übersetzen.»

K: «Ach nein? Wieso nicht?»

TP: (atmet tief ein) «Weil es dieses Wortspiel im Englischen nicht gibt. Ergo: Ich muss mir was anderes einfallen lassen. Und das kann ich nur, wenn ich den Inhalt des News-Artikels kenne.»

K: «Mmh, stimmt. Das Wortspiel war mir gar nicht aufgefallen.»

TP: «Was für ne Überraschung…»

K: «Hey, kein Grund, sarkastisch zu werden. Du bist hier der Fachmann.» (tippt und klickt) «So, gesendet.»

TP: «Super, danke. Ach, und denk daran, dir das irgendwo zu notieren. Damit du noch weisst, weshalb ich dir für diesen Auftrag zusätzlich eine halbe Stunde in Rechnung stelle.»

K: «Eine halbe Stunde? Bist du wahnsinnig? Es sind doch nur neun Wörter!»

TP: «Yep. Und ich habe jetzt zehn Minuten mit dir telefoniert, und werde noch mindestens weitere zwanzig damit verbringen, den News-Artikel zu lesen und dafür einen vernünftigen Titel zu texten.»

K: «Sag mal, spinnst du? Ich hatte den Aufwand doch auch! Quid pro quo.»

TP: «Tja. Hättest du daran gedacht, den News-Artikel gleich mitzuliefern, hätte ich nicht anrufen müssen. Dann wären es vielleicht insgesamt nur fünfzehn Minuten gewesen.»

K: (zögert und lacht) «Du bist echt lustig, weisst du das?» (ernst) «Tu’ mir den Gefallen und übersetzt mir einfach diesen Satz, ja? Sonst finde ich ne andere Lösung.»

TP: «Aber…» (seufzt) «Also gut, verstanden. Ich verzichte darauf. Aber nur, weil du mir regelmässig grössere Aufträge schickst. Das gleicht es wieder aus.»

K: «Also…»

TP: «Ja?»

K: «Dieses Thema wollte ich auch mal ansprechen. Da würde ich als Kunde schon einen Nachlass von dir erwarten. Bei den grösseren Aufträgen, meine ich.»

TP: «Wie bitte? Warum denn?»

K: «Na, weil das doch üblich ist. Grossaufträge gleich Rabatt.»

TP: (denkt nach) «Hey! Das ist jetzt aber eine total coole Idee! Ich hätte auch eine: Ab sofort verrechne ich dir für deine Mini-Aufträge eine Mindestpauschale. Das ist nämlich auch üblich: Kleinstaufträge gleich Zuschlag. Können wir übrigens gern auch für Eilaufträge einführen.»

K: «Oh…» (zögert) «Hey, da klingelt es auf der anderen Leitung! Ich muss auflegen, sorry.»

TP: «Aber…»

K: «Schick mir bitte heute noch den Satz, ja? Du bist ein Schatz, wirklich. Zum Glück haben wir dich. Danke! Tschüss!» (legt auf)


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